Bukowiner literarische Skizzen von Christel Wollmann-Fiedler


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Czernowitz, Tscherniwzi, Tschernowzy, Cernăuţi, Czerniowce 2007

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Eine Reise nach Osteuropa sollte es werden. Die Stadt der Rose Ausländer, des Paul Celans und der Hedwig Brenner kennen zu lernen, war mein großer Wunsch. Viel gehört hatte ich über Czernowitz. Kaum jemand in meiner Umgebung hat die Stadt persönlich gesehen, außer er wurde dort geboren, später vertrieben oder wanderte aus in ein anderes Land. Die Literatur erzählt von anderen, längst vergangenen Zeiten. Auch Fotos aus uralten Zeiten bringen uns die Stadt näher, die hinter den Karpaten in Vergessenheit geriet. Fast träumerisch und verklärt wird Czernowitz dargestellt. Von einem Mythos ist hin und wieder die Rede. So machte ich mich im Juni 2007 mit Brigitte auf den Weg zum "Mythos", nicht unbedingt in die Vergangenheit, die Gegenwart wollte ich kennen lernen, erkunden und fotografieren.

Natürlich hat Czernowitz eine Vergangenheit, zum Teil eine ganz schreckliche! Czernowitz, ein fast vergessener Name. In der Bukowina, dem Buchenland, liegt diese Stadt, in der sehr viele Juden einträchtig zusammen mit anderen Religionen lebten. Bis 1918 gehörte dieser Teil Osteuropas zu Österreich-Ungarn, der Donaumonarchie. Deutsch wurde gesprochen. Die Bukowina, Siebenbürgen, Bessarabien und die Dobrutscha wurden 1918 Rumänien zugesprochen, rasch rumänisierte man den Landesteil; die Landes- und Schulsprache wurde Rumänisch. Das Leben für die Bevölkerung ging weiter. Das 3. Reich in Deutschland entstand in Windeseile, Hitler kam an die Macht. Weit weg war Deutschland, niemand glaubte und dachte daran, dass dieses grauenvolle Regime über die Karpaten in den Osten kommen würde.

Doch zuvor, 1940/41, kamen die Russen und deportierten nicht nur Juden, auch nichtjüdische Fabrikbesitzer, Apotheker und andere Intellektuelle nach Sibirien, ließen sie verhungern und erfrieren. Nach diesem kurzfristigen Einfall der Russen verbündete sich Rumänien mit Nazideutschland und die SS zog in Czernowitz ein. Ein Ghetto wurde in der Stadt errichtet, täglich brachten die Nazis Juden nach Transnistrien in Arbeitslager, wo sie an Hunger und Typhus starben oder hinter dem Bug erschossen wurden.

Der Krieg und der Naziterror gingen weiter. Abertausende von Menschen wurden ermordet, kamen nicht mehr zurück. 1944 fand die Aufteilung Rumäniens statt, die Nordbukowina kam zur Sowjetunion (Ukraine) und nach der Öffnung der Grenzen 1991 zur Ukraine.

"Leas Fluch" und "Mein 20. Jahrhundert" von Hedwig Brenner waren gelesen, die "Czernowitzer Spaziergänge - Annäherung an die Bukowina" von Othmar Andrée und eine alte Stadtkarte aus den 1920er Jahren, die er mir mit auf den Weg gab, wurden die wichtigsten Reisebegleiter.

Von Lemberg nach Czernowitz bummelte der Zug gemächlich durch die sommerliche Landschaft der Bukowina, im Hintergrund erkannten wir die Karpaten. In der Ferne tauchte der Czernowitzer Bahnhof auf in altem Jugendstil verkleidet; das Straßenpflaster sensationell, die Trollibusse sehr alt. Endlich empfing uns die Stadt, die mir seit Jahren nicht mehr aus dem Kopf ging. Die alte Bukowina – Jahrzehnte von Westeuropa vergessen - den Landstrich der verschiedenen Kulturen, der vielen Überfälle und Progrome, habe ich betreten und werde mental in die Vergangenheit versetzt.

Ein schönes Städtchen empfing uns, sowjetisch geprägt der Charakter. Nun, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eine Bereicherung des Weltbildes. Der längst vergangene Jugendstil in den Hauptstraßen wird wiederentdeckt und saniert. 600. Geburtstag feiert die Stadt in diesem Jahr. Verfallene Ecken gibt es in den Seitengassen, erinnern an längst vergangene Zeiten, schön und heimelig sind sie allemal. Auf dem jüdischen Friedhof ist die Vergangenheit fast zugewachsen, auf dem christlichen prangen bunte Plastikblumen. Österreichisch-ungarische Spracherinnerungen gibt es nicht mehr, die ukrainische Schrift irritiert. Der neue Stadtplan mit kyrillischen Lettern, den Brigitte zur Hilfe nahm, und die alte Stadtkarte mit deutschen Straßennamen, führten uns zu den gesuchten Plätzen.


Christel Wollmann-Fiedler
Berlin, im Juni 2008


Mehr Informationen finden Sie unter www.czernowitz.de


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